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Talk to my bot — Ethische Perspektiven im Konversationsdesign

Über die industrielle Gestaltung von Zwangsverhalten und die Konsequenzen.

Maggie Jabczynski
5 min readMay 17, 2019

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Apple hat eingesehen, dass ihre nutzerfreundliche Gestaltung zu einer digitalen Sucht beiträgt und neue Features entwickelt, die Smartphone Nutzern helfen sollen, unseren digitalen Konsum auf ein gesünderes Maß zu beschränken. Wie folgenreich die Verspätung dieser Einsicht ist und was wir daraus für die Disziplin des Konversationsdesigns lernen können — dem möchte ich in diesem Artikel nachgehen.

UX Design, als einer der Faktoren für unsere epidemieartige Smartphone-Sucht, ist die Komposition von meist visuellen Reizen, die uns zu einem bestimmten, evolutionär bedingten Verhalten anregen.

Mit unserer Veranlagung zur Reaktion auf bestimmte Reize, wirkt UX Design auf uns wie ein Mechanismus, der unser Verhalten steuert.

Unsere Gehirne sind evolutionär gesehen alt, was bedeutet, dass wir es nicht so schnell von unserer Sensibilität auf Signalfarben (wie die bunten Apps in unseren Smartphones) “weg konditionieren” können. Wenn es um Google-Suchergebnisse geht, haben wir schon die Gewohnheit entwickelt, die ersten Suchergebnisse zu überspringen, ja gar nicht erst zu lesen, weil uns bewusst ist, dass es bezahlte Anzeigen sind und eher nicht unbedingt die Information, die wir suchen. Aber UX Design greift tiefer als wir bewusst wahrnehmen. Einen Anlass, dem nachzugehen und uns zu fragen, was wir eigentlich machen, wenn wir stundenlang scrollen, finden wir währenddessen nicht. Im Gegenteil, denn durch das Scrollen wird unser Gehirn belohnt.

Was zuerst eine reibungslose Benutzung von Computern ermöglichen sollte, ist nicht nur zu einem ganzen Industriezweig ausgeartet, sondern auch längst zu einem Standard in der virtuellen Welt, aber auch zu einem Anspruch an die nicht-virtuelle Welt geworden. Diese Standards prägen unsere Gewohnheiten. Erst haben wir uns daran gewöhnt, dass im Internet alles und zwar immer verfügbar ist. Im Vergleich mit der Realität erleben wir jetzt mehr Frust durch nicht-stimulierende Wartemomente, in denen wir das Handy nicht zur Ablenkung parat haben. Dass selbst das seltenst(!) der Fall ist, spricht für sich.

Neuer Standard — neue (sexuelle) Präferenzen

Selbst im Gespräch miteinander schauen Menschen auf ihr Handy, als sei das Gesagte des Gegenübers nicht genug, als gäbe es da noch eine Email, noch einen Post, die jetzt gecheckt werden müssen. Die Konditionierung, dass nicht nur die Dinge, sondern auch man selbst ständig verfügbar sein muss, hat sich zu einem unbewussten kollektiven Standard etabliert. Das Problem ist aber: Dort, wo keine nutzerfreundliche, optimierte andere Psyche, Software oder Interface ist, wo nicht alles wie das Internet effizient und allseits verfügbar ist, schneidet unsere Realität und der Umgang mit physischen Wesen und Dingen sehr schlecht ab. Denn die sind nach wie vor nicht “userfriendly”, was zur Folge hat, dass wir an ihnen das Interesse verlieren. Die Trägheit der Welt spüren wir deutlich bei Dingen, die dem Standard nicht gefolgt sind, weil sie Hardware im wahrsten Sinne des Wortes sind. Die analoge Welt frustriert uns heute mehr als früher, sie ist unsexy und zu langsam darin, unser Belohnungszentrum zu aktivieren, wir sind längst high speed Belohnung per Klick oder Swipe gewöhnt. Die Konsequenz ist, dass wir analoge, echte Orte weniger aufsuchen und Dinge weniger nutzen, wenn wir die Wahl haben. Auch unsere Kinder reizt es immer mehr, vor Bildschirmen als auf Schaukeln zu hocken. UX Design als Gestaltung der Welt findet Einzug in immer mehr Bereiche.

Sehr jung, doch zukunftsweisend, ist nun auch Conversational UX Design: die Gestaltung von Konversationen von Sprachbots. Auch diese müssen zuerst einmal auf einen Standard gebracht werden und die Guidelines und Best-Practices werden sich schnell etablieren. So hat sich im visuellen Bereich beispielsweise durchgesetzt, Buttons mit runden Ecken auszustatten, weil man gemessen hat, dass Menschen lieber auf Buttons mit abgerundeten Ecken klicken als auf welche mit spitzen Ecken. Aber ebenso werden wir bald für die Gestaltung von Bots sprachliche Prinzipien finden, mit denen wir Sprachbots optimieren werden.

Es drängt sich die Frage auf, wie bald wir mit konversationellen Interfaces den Punkt erreichen werden, an dem wir grundsätzlich lieber mit einem Bot als mit einem Menschen sprechen wollen. Denn anders als beim Menschen, wird in die Entwicklung der Konversationalität von Chatbots mehr Fachwissen und Kontrolle und Nutzeroptimierung hineinfließen, als ein Mensch je im Stande wäre sich anzueignen. Die Grenzen der Anpassungs- und Lernfähigkeit des Menschen sind anders als bei einer (KI) Software schnell erreicht. Der Mensch wird mit den Anforderungen, die er an seine Mitmenschen in der Kommunikation hat, selbst nicht mehr mithalten können. Unsere Erwartungen werden immer größer, unsere Fähigkeit, Kontakt aufzubauen verkümmert. Wir werden für einander im direkten Umgang zunehmend weniger attraktive Gesprächspartner werden. Da werden auch alle Selbstoptimierungsprogramme und Kommunikationscoachings uns in einem faden Licht erscheinen lassen. Die Apps, um vermeintliche Hemmungen in der Kommunikation abzubauen, boomen.*

Wenn man bedenkt, dass das Smartphone in unseren intimsten Bereich eingezogen ist und selbst im Schlafzimmer einen UX-designten Zwang auf uns ausübt, dem Bildschirm mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem Menschen, der neben uns liegt, dann ist das eine plausible Schlussfolgerung. Denn wir und unsere Mitmenschen sind eben nicht nutzerfreundlich optimiert.

Wenn ein Gespräch mit einem Bot eines Tages angenehmer ist, als mit einem Menschen, wenn Bots uns mehr stimulieren werden und länger im Gespräch behalten, als Menschen, was bedeutet das dann für unsere sozialen Beziehungen?

Im Film Her geht es um einen Mann, der keine sozialen Kontakte hat und in dessen Welt, handgeschriebene Briefe wieder ein Hype geworden ist, der aber nun als Agenturleistung verkauft wird, weil kaum jemand noch etwas von dieser Kunst versteht.

Leider haben sich die UX Designer, allen voran bei Apple nie Gedanken um die Konsequenzen gemacht, die die erfolgreiche Verhaltenssteuerung, die immer nur UX genannt wird, langfristig auf uns hat.

Ironisch-heldenhaft mutet es an, wie Apple sich selbst zur Verantwortung ruft und für das nächste Betriebssystem Zeiterfassungsfunktionen für die Nutzung des Smartphones und verschiedener Apps zur Kontrolle und Mäßigung ankündigt. Als Gestalter von Bots bedeutet das für uns nicht, dass wir Apple und anderen Schuld zuweisen können und sagen können: wir machen es besser, sondern als Warnung und Fingerzeig. Offenbar war es schwierig, für die “Großen” von Beginn an diese soziale und gesellschaftliche Dimension des UX Designs zu ermessen. Umso mehr sollte uns das veranlassen, im Konversationsdesign den Blick von den ethischen Implikationen und gesellschaftlichen Folgen unserer Arbeit nicht abzuwenden. Dass Sprachbots die Zukunft sind und unsere Welt durch in Form von omnipräsenter Voice und Chat-Interfaces verändern werden, steht fest. Dafür, wie wir die langfristigen Entwicklungen, die es für uns als Menschen hat, steuern oder kompensieren können, stellen wir jetzt die Weichen.

Bild von PIRO4D auf Pixabay.

*Neulich fragte mich eine Bekannte, ob ich ihr bei der Vermarktung einer App helfen könnte, in man seine sexuellen Präferenzen angeben und mit Partnern und potenziellen Partnern angleichen kann, damit es ihnen leichter fällt, darüber zu kommunizieren.

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Maggie Jabczynski

I am a Linguist with a background in Anthropology & Ethics, working as a Conversation Designer